Ein fesselnder, bildstarker und erhellender Dokumentarfilm
Dokumentarfilm, Deutschland 2020, 117 Minuten
1959, Italien. Pier Paolo Pasolini setzt sich im ligurischen Badeort Ventimiglia in seinen Fiat Millecento und umrundet einmal die italienische Küste. Der Form des berüchtigten Stiefels folgend fährt er 3.000 Kilometer bis hinauf nach Triest. Seine außergewöhnliche Reise gilt 60 Jahre später als einzigartiges Dokument europäischer Kulturgeschichte. Das im Zeichen des Wirtschaftswunders und des beginnenden Massentourismus prosperierende Italien beschrieb Pasolini mit einer großen Portion Hellsichtigkeit, Empathie und Witz. In VOR MIR DER SÜDEN begibt sich der deutsche Filmemacher Pepe Danquart auf Pasolinis Spuren. Die damalige Umrundung unternimmt auch Danquart als fliegender Flaneur im Fiat Millecento und blickt auf Umbrüche – nicht nur in einem Land, sondern auf einem ganzen Kontinent. So viel lässt sich über Europa erzählen, schaut man nur einmal genauer auf sein Eingangstor: Italien. Wo früher der Massentourismus die Menschenströme durch die Ferienorte schleuste, überrennen nun Millionen Individualreisende die Schauplätze des historisch-mediterranen Italien. Wo einst Aufbau herrschte, strömen nun Waren und Dramen an die Küstenorte der Apennin-Halbinsel.
Zwischen Dolce Vita und nostalgischer Endzeitstimmung: Pepe Danquart hat einen fesselnden, bildstarken und erhellenden Dokumentarfilm geschaffen, der die Kulturen des Reisens und der Industrie klug miteinander kurzschließt und sie durch den Wandel der Zeiten verfolgt. Danquart, der mit Filmen wie AM LIMIT visionäre Kinokraft unter Beweis gestellt hat, findet einen liebevollen und humorigen Umgang mit den neuen Trieben aus dem Boden einer längst vergangenen Zeit. Italien zeigt er als radikales Konzentrat einer europäischen Epoche, die zugleich großartig und bestürzend ist.